Der Staat als Teil der herrschenden Klasse
Die Solidarität ist eine sehr oft beschworene Formel in der Corona-Pandemie. Würde man die Solidartät, wie sie von Unternehmen oder Regierung verkündet wird, mit unserer Vorstellung von Solidarität gleichstellen, dann müsste man meinen, dass eine fruchtbare Zeit für linke Ideen angebrochen wäre. Schließlich gründen sich die vielen Bewegungen für eine befreite Gesellschaft eben auf Solidarität und gegenseitiger Hilfe. Da wir uns täglich in dieser Gesellschaft bewegen können wir anhand unserer Erfahrungen über die “Solidarität der herrschenden Klasse” urteilen.
Vor allem während des ersten Lockdowns konnten wir eine Vielzahl an Maßnahmen beobachten, die sicherlich beim Bekämpfen der Pandemie geholfen haben. Selbst wenn man kein besonderes Wissen über Viren hat, scheinen die Einschränkungen des Flugverkehrs, Homeoffice und die Absage von großen Veranstaltungen ziemlich sinnvoll zu sein.
Gut, wer die Pandemie schon in der Anfangszeit aufmerksam verfolgt hat und ernst genommen hat, wird sowieso schon vor dem ersten Lockdown schweren Herzens seine sozialen Kontakte stark eingeschränkt haben. Auffällig bleibt hingegen, dass bei all diesen Maßnahmen die Staaten bis jetzt weltweit wenig zusammen gearbeitet haben. Das Verhindern einer weltumfassenden Pandemie durch Maßnahmen im eigenen Land war schon anfangs die am ehesten gewählte Krisenstrategie. Diese war nicht unbedingt im Sinne der Wissenschaft, denn Viren halten sich ja bekanntlich nicht an Staatsgrenzen!
Auch sonst scheinen viele der Maßnahmen nicht wirklich auf die Bekämpfung der Pandemie ausgerichtet gewesen zu sein. Während die deutsche Fussball Bundesliga bereits Ende März wieder trainierte, tat die Feuerwehr dies lange noch nicht. Einen aufgebrachten Anhänger von Eisern Union veranlasste dies zu dem Satz, “Wenn es bei mir brennt, kommt dann Gogia (Fussballprofi des 1. FC Union) mein Haus löschen?”. Die Fussball Branche zeigte sich für eine kurze Zeit ungeahnt selbstkritisch. Das auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtete Hochrisikofinanzgeschäft mit Milliardensummen stand nach wenigen Wochen im Lockdown schon vor dem Niedergang. Hierauf sollten dann nun ein Gehaltsverzicht, Gehaltsobergrenzen und eine Rückkehr zu einem Sport für die Fans folgen. Dies sind alles Dinge, von denen vorher niemand etwas wissen wollte, nun wurde aber auf einmal wieder über das alles geredet! Im Nachhinein, als man dann finanziell wieder abgesichert war, wurde zwar verkündet, das wären zwar alles tolle Ideen gewesen, der weitere Spielbetrieb sei jetzt aber erst einmal das Wichtigste.
Selbstkritik ist Show! Schließlich hat der Fall Robert Enke keine Veränderung am Leistungsdruck verursacht und Corona wird die Risikofinanzgeflechte jetzt auch nicht beenden!
Die Rettung des Clubs FC Schalke 04 durch das Land NRW erinnert dabei sogar an die Rettung von hochverschuldeten Banken in der Finanzkrise von 2008. Wer “too big to fail” — zu groß, zum scheitern — ist, kann selbst in einer Pandemie auf die “Solidarität der herrschenden Klasse” hoffen! Ganz egal, wie bescheuert man sich vorher verhalten hat!
Dieser Industriezweig kann dabei als Vorbild für die gesamte Wirtschaft gelten: Wer wegen Corona in der Krise steckt, fordert Kredite ein. Als größeres Unternehmen, muss man dafür lediglich in Aussicht stellen, dass man die eigenen Handlungen zukünftig etwas mehr auf das Wohl “aller” abstimmt. Wer dabei hingegen in der Pandemie eine besonders “wichtige” Leistung erbringt, kann sich gegen Einmischungen von außen verwahren, fährt dabei aber still die besonders hohen Gewinne ein.
Die “Solidarität der herrschenden Klasse” ist durch und durch kapitalistisch. Sie dient nur der herrschenden Klasse und wird von all jenen unterstützt, die an den Kapitalismus glauben, wie die Propheten an den Messias. Diese “Solidarität” hat dabei nichts mit gegenseitiger Hilfe zu tun, jedenfalls nicht so, wie wir sie verstehen! Sie orientiert sich hingegen viel mehr am Wettbeweb und am Profit.
Wenn man Solidarität so vesteht, dann sollte einem vollkommen klar werden, dass die von Staat und Wirtschaft beschlossenen Maßnahmen sich nicht widersprechen stattdessen zementieren sie die aktuellen Verhältnisse nur. Wer hier Fehler aufdecken will, verkennt die Lage!
Auch hier zeigt der Profifussball wie es geht. Zuerst wird das eigene vorbildliche kapitalistische Verhalten infrage gestellt. Es folgen Sonderregelungen zum Schutz der Industrie, statt den Bedürfnissen der Beschäftigten oder Fans Platz zu geben. Um die vorher in Aussicht gestellten strukturellen Änderungen ist es ab diesem Zeitpunkt still geworden. Wenn Schlachthöfe nacheinander viele Coronakranke verzeichnen, ohne dass der angeblich schützende Staat eingreift, geschweige denn die Chefs selbst tätig werden, ist das normal. Diese Normalität sollten wir auch deswegen aufzeigen, weil wir sie alle erleben. Natürlich war die Unterdrückung der lohnabhängigen Klasse schon vor Corona da. Wenn die Bosse zu Hause oder in ihren großen Büroräumen mit Luftfiltern und Desinfektionsmittel sitzen, die Arbeiter:innen aber in den Fabriken keine Maßnahmen zum Schutz genießen, zeigt sich auf einmal wie viel “Wert” jetzt welches Menschenleben besitzt!
Wenn Menschen nach einer überstandenen Corona Infektion mit den Nachwirkungen der Krankheit zu kämpfen haben und von der Chefin den Vorwurf bekommen dies nur zu spielen, dann wissen wir, wie verantwortungsvoll unsere Vorgesetzten in einer Pandemie wirklich sein können. Geschützt wird nur, wo durch Arbeitsschutz die Gewinne weiterhin zufriedenstellend ausfallen. Das menschenfeindliche Problem des Kapitalismus zeigt sich jeden Tag im Leben von uns allen! Hierzu braucht es gegenseitiges Zuhören und eine gemeinsame Analyse. Doch dürfen wir bei dieser Analyse alleine nicht stehen bleiben!
Den stockenden Motor reparieren
Entgegen vieler anderer Texte, wollen wir nicht in die oft doch recht vernichtende Kritik gegenüber der Handlungsweise der antiautoritären Linken einstimmen. Zu Beginn der Pandemie waren wir positiv überrascht, wie schnell sich der erste Protest formiert hat. Es wurde auf die Verdrängten und Ausgestoßenen aufmerksam gemacht, welche sich aufgrund staatlicher oder gesellschaftlicher Diskriminierung nicht gut selbst schützen konnten – man denke nur an die Menschen in Moria! Der Ausbau der technischen Infrastruktur in dieser Zeit durch Systemli, Riseup und Co hat es vielen von uns ermöglicht, unsere politische Arbeit fortzuführen. Auch wenn wir vermutlich nach der Pandemie erstmal die Schnauze voll von Telefon- und Videokonferenzen haben werden. Zur gleichen Zeit konnten sich faschistische Kräfte nicht entscheiden, ob sie für oder gegen einen autoritäreren Staat sein wollen. Während die faschistische Rechte zum Beginn von Corona somit sichtlich mit den neuen Voraussetzungen ringen musste, war die Linke schneller.
Was folgte war jedoch leider viel zu wenig. Die Netzwerke der gegenseitigen Hilfe vom Pandemiebeginn sind größtenteils eingeschlafen. Während des Sommers und den folgenden Lockerungen rückte Corona in den Hintergrund. Anstatt die Proteste der Anfangszeiten auszuweiten und gesamtgesellschaftliche Veränderungen voranzubringen, folgte eine neue rechte Massenbewegung. Auch auf die Coronaleugner:innen wurde kaum eine Antwort gefunden. Ein weiterer Versuch der antiautoritären Linken in Form des “Wer hat der Gibt” Bündnisses auf die Pandemie zu reagieren, war enttäuschend. Es besteht ein Unterschied zwischen gewollter Massentauglichkeit und Forderungen, welche vielen Menschen aus der Seele sprechen. Eine art Reichensteuer während der Coronapandemie könnte ebenso von der Sozialdemokratie stammen. Eine dauerhafte Verbesserung der Zustände wird erst gar nicht mehr gefordert. Anstatt aus den Kämpfen der lohnabhängigen Klasse Forderungen abzuleiten entscheiden linke Bündnisse aus Gruppen, die sonst kaum miteinander reden würden, was denn wohl massentauglich genug für die nächste Kampagne ist. Letztendlich rückte selbst dieser Minimalkonsens aus dem Blickfeld. Schließlich findet es die antiautoritäre Linke schon seit einiger Zeit einfacher vor allem gegen faschistische Gruppen zu agieren. Wer gegen Faschisten antritt, kann gut von der eigenen Inhaltsleere ablenken. Somit war auch “Wer hat der gibt” am Ende mehr eine Mobilisierungsform gegen Coronaleugner:innen, als eine eigenständige Bewegung. Wir sehen in dem Scheitern dieser Kampagne einen weiteren Beweis dafür, dass breite linke Bündnisse zumeist zu einer Verwässerung der Forderungen führen und dass ihre Massentauglichkeit kaum Spuren bei den mobilisierten Menschen hinterlässt.
Die letzten Entwicklungen in der antiautoritären Linken geben uns hingegen durchaus Anlass zur Hoffnung. Es ist wie zum Beginn der Pandemie wieder etwas Bewegung spürbar. Hier muss anerkennend erwähnt werden, dass die Kampagne ZeroCovid eine längst überfällige Debatte innerhalb der radikalen Linken entfacht hat. Auch wenn wir staatlichen autoritären Pandemieschutz für eine ebenso gute Idee, wie Kommunismus durch Parteiendiktatur halten, kam dieser Impuls zur rechten Zeit! Wir glauben allerdings, dass ein solcher europäischer Lockdown wohl nur nach chinesischem Modell möglich ist. Desweiteren ist es eher unwahrscheinlich, dass sich die europäischen Regierungen nach dem Start der europaweiten Impfkampagne zu einem gemeinsamen Lockdown drängen lassen.
Unsere Perspektive ist es hingegen der herrschenden Klasse Stück für Stück den Boden zu entziehen. Wir müssen dabei, wenn wir wissen wollen was den Menschen in der Zeit der Pandemie besonders wichtig ist, nur inne halten und die Erfahrungen unserer Bekannten und Freunde bewerten. Lasst uns den Schutz der Kranken und Alten in der Gesellschaft fordern.
Es gibt viele Menschen, die im hohen Alter arbeiten müssen oder solche, die kranke Angehörige daheim haben. Jeden Tag sind sie von der Angst ergriffen für den Tod ihrer Liebsten mitverantwortlich zu sein. Eine solidarische Gesellschaft hätte die Aufgabe diese Menschen von dieser Angst so gut es möglich ist zu befreien. Viele von uns haben erlebt, wie unsere Bosse unseren Arbeitsschutz für ihre Profite hinauszögern und verweigern. Organisiert euch in solidarischen Basisgewerkschaften wie der FAU und lasst uns den Protest vor Tönnies und Co tragen. Der Arbeitsschutz ist ihnen vollkommen egal. Für ihre Ignoranz bekommen sie Hilfspaket und können ihren Aktionären die Geldbeutel füllen. Auch sollten wir dem immer autoritärer agierenden Staat nicht freie Hand lassen, denn wer Jogger nachts wegen Missachtung der Ausgangssperre verhaftet, ignoriert die Wissenschaft genauso wie Coronaleugner:innen. Der Staat schützt uns nicht, sondern sich selbst und die anderen Teile der herrschenden Klasse. Oder warum gibt es ein Patent auf einen Impfstoff während einer weltweiten Pandemie? Ein Patent ist das Gegenteil von Solidarität, es bedeutet Vorteil in der Weltmarktkonkurrenz. Nicht das menschliche Leben an sich hat oberste Priorität, sondern nach wie vor der Profit des nationalen Kapitals. Solange der Kapitalismus existiert, wird es immer einen Staat als Teil der herrschenden Klasse geben.
Lasst uns dem Staat jeden Meter abtrotzen, den wir bekommen können, damit wir ihn und den Kapitalismus irgendwann vollkommen zu Fall bringen können!